Moringer Geschichte(n) - Moringer Familien

Moringen

Liebe Leserin, lieber Leser dieser Seiten,

wenn man als Kind in einer Stadt aufwächst und immer mit einem Bein dort bleibt, nimmt man Veränderungen, da sie kontinuierlich erfolgen, kaum wahr: „Es ist eben wie es ist ...“

Meine Kindheit und Jugend habe ich in Moringen verlebt, habe die damals noch existierende „Moringer Zeitung“ mit den Berichten über das „alte“ Moringen zur Kenntnis genommen, aber sie hatten für mich kaum eine Bedeutung. Erst jetzt, viele Jahre später, fallen mir die alten Zeitungsausschnitte, liebevoll gesammelt, erneut in die Hände. Ich lese die Artikel von vor über 40 Jahren über das Moringen von vor über 100 Jahren. Mit Interesse verfolge ich die derzeitigen Perspektiven und Einschätzungen und vergleiche, was tatsächlich daraus geworden ist. Ich trage zusammen, was vor 40 Jahren in der Moringer Zeitung über den Zeitraum um 1800 dokumentiert geblieben ist. Diese „Reste“ möchte ich in zeitgemäßer Form dem Betrachter zur Verfügung stellen. Die eingebundenen Fotos sind Bilder aus der Zeitung (schwarz-weiß und gerastert), die ich von Hand nachgebessert und koloriert habe. Dadurch sollen sie an Lebendigkeit gewinnen.

Wir lernen aus der Geschichte. Moringens Geschichte der letzten 250 Jahre ist eng mit der der Familie v. Münchhausen verknüpft, und Familien- und Stadtgeschichte weisen Parallelen auf: Nach dem verheerenden Brand 1734 beginnt die Stadtgeschichte neu. Unter der Leitung eines Bürgermeisters Domeier und eines Landdrosten von Münchhausen entsteht auf den planierten Ruinen ein „modernes“ Moringen mit breiten Straßen, Bürgersteigen und einem vom Gedanken des Brandschutzes bestimmten Stadtbild. Moringen erholt sich und blüht auf, genauso wie die Besitztümer und Güter derer von Münchhausen. Früh erkennt der Drost, dass die Zukunft in der Ausbildung der Jugend liegt: Dem Oberdorf wird eine eigene Schule gestiftet und eines der modernsten Waisenhäuser der damaligen Zeit wird in Moringen eingerichtet.

Aber auch die dunklen Seiten der Familiengeschichte derer von Münchhausen verlaufen parallel zu dem dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte:

Am 16.03.1945 begeht der Schriftsteller und Balladendichter Börries Freiherr von Münchhausen, der letzte seiner Familie (sein Sohn war 1934 bei einem Autounfall ums Leben gekommen) auf Schloß Windischleuba bei Altenburg Selbstmord: „... tötete sich, weil er den Sturz des Großdeutschen Reiches nicht überleben wollte.“ *)

Sein Denken und Handeln wird durch folgendes Zitat bezüglich der Bücherverbrennung 1933 wiedergegeben: „... was liegt daran, ob beim Auskehren der Spreu auch eine Handvoll goldener Körner verlorengeht, die heilige Ernte wird doch geborgen werden!“ *)

In Moringen wird aus dem vom Landdrost v. Münchhausen gegründeten Waisenhaus zuerst das Provinzialwerkhaus, 1933 ein Konzentrationslager für Männer, 1933-1938 ein Frauen-KZ und von 1940–1945 ein Konzentrationslager für Jugendliche mit dem verharmlosenden Namen „Jugendschutzlager Moringen“ --- und alles unter den Augen der Bevölkerung, mitten in unserer Kleinstadt, und kaum einer will gewußt haben, was wirklich war.

Genauso wie der Schriftsteller v. Münchhausen bis zum Schluß von der Redlichkeit seines Tuns überzeugt war, gibt es auch noch heute unter uns hier vor Ort Zeitzeugen, die „nur“ eine Strafanstalt wahrgenommen haben und ihre Augen vor den gewiß schmerzenden Tatsachen der Vergangenheit verschließen.

Die Pflicht unserer und der nachfolgenden Generationen ist es, Augen, Ohren und Verstand nicht zu verschließen, zu dokumentieren, was war und --- lernen.

 

 

 

 

Gedenkstein für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auf dem Moringer Friedhof

 

 

 

 

 


*) Hofmann/Rösch: Grundlagen, Stile, Gestalten der deutschen Literatur, Frankfurt/M. 1980, Seiten 341 und 377

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