Moringer Geschichte(n) - Moringer Familien

Die Wilderertragödie von 1828

Die Wilderertragödie von 1828 - der "Götemann-Mord"
Die Geschehnisse und was Stadtchronik sowie Kirchenbücher darüber berichten ...
Vortrag anlässlich der Vernissage zum
Theaterstück „Wildfänge“, Juni 2000
Veröffentlicht in: „Waldleben“, Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden, ISBN 3-931656-24-1

 


Wilfried Hartje, Juni/Juli 2000

Inhaltsübersicht
  1. Hintergründe
  2. Geschehnisse
  3. Moringer Chronik
  4. Kichenbücher
  5. Gerichtsverfahren
  6. Personen
  7. Literatur

Als Erzählender und Erklärender möchte ich Ihnen den Hintergrund, vor dem die Ereignisse um diese Wilderertragödie abliefen, die Geschehnisse selbst, das folgende Gerichtsverfahren und die beteiligten Personen schildern, bzw. beschreiben. Als Quellen standen mir die Zusammenfassungen Ohlmers (1000 Jahre Moringen 983 - 1983), der sich auf das Moringer Magistratsarchiv bezieht, die entsprechenden Moringer Kirchenbücher und letztlich Heinrich Sohnreys "Tchiff tchaff, toho!" zur Verfügung. Letztere Quelle ist leider nur Sekundärliteratur, da Sohnrey erst im Jahre 1879, also 51 Jahre nach der Tragödie, die Berichte der noch lebenden Zeitzeugen zusammengetragen hat. In der Zwischenzeit hatte sich das Bild des Erlebten in Folge der fortgeschrittenen Zeit in den Köpfen der Nienhagener Bevölkerung verändert. Details wurden vergessen, andere hinzugefügt und Bewertungsmaßstäbe änderten sich. So sind die z. T. widersprüchliche Schilderungen, insbesondere des Hinrichtungsszenariums und auch Namensverwechselungen bei Sohnrey zu erklären.

Zu den Geschehnissen selbst habe ich einen besonderen familiären Zugang: Der Bruder meiner Ur-Ur-Ur-Großmutter Christian Friedrich Hoffmann war Tatbeteiligter. Er bekam dafür eine Zuchthausstrafe und wurde, nachdem er 40 Jahre im Celler Zuchthause zugebracht hatte, begnadigt. Nach seiner Rückkehr nach Nienhagen begann der 2. Teil der Tragödie: Er und seine Familie hatten sich restlos entfremdet, er fand keine Bindung mehr zum Dorf und seiner Familie. So ging er bei Nacht und Nebel fort, wanderte ziellos umher und beging schließlich in der Leine Selbstmord ...


Hintergründe

Um das, was damals passierte zu verstehen, muss man die Hintergründe kennen und die damalige Zeit sehen. Wie können bis dahin unbescholtene Leute sich so verhalten? Wieso hat die Obrigkeit so extrem reagiert? - Fragen auf die ich versuchen will, eine Antwort zu finden.

Sohnrey beschreibt in "Die Sollinger" die Nienhagener Bevölkerung folgender-maßen: "Sie sind kraftvoll und bestimmt in Gestalt und Wesen mit Festigkeit und Klugheit, Zuverlässigkeit und Offenheit, aber auch diplomatischer Verhaltenheit." Jemand, der unter den gegebenen Bedingungen (schwer zu bearbeitender, steiniger Boden, kleine Hofstellen, karge Ernährung ...) um das tägliche Überleben kämpfen musste, hatte seine Grundsätze und Anschauungen, zu denen er stand und sich von keiner Obrigkeit etwas sagen ließ. Undenkbar, dass man ihm verbieten könnte, was in den Wäldern der Weper herumlief zu jagen und so für eine Fleischmahlzeit zu sorgen ...

Sohnrey beschreibt das mit folgenden Worten: “Wie im inneren Sollinge selbst, so herrschte auch auf der Weper eine tief eingewurzelte Leidenschaft zum Jagen, so dass nicht selten junge Burschen und Männer sich heimlich zusammen rotteten und nächtliche Treiben veranstalteten.”

Außerdem muss an dieser Stelle etwas zur Streitkultur und zum Konfliktlöseverhalten in Nienhagen gesagt werden. Streitigkeiten jeder Art wurden mit der Faust geregelt. Angemerkt sei hier das Zitat eines Moringer Arztes, der die Beteiligten hinterher wieder zusammenflicken musste: “Man muss sich wundern, was so ein Nienhäger Bauernschädel alle aushält!” oder das Bild von den Nienhagenern in den Köpfen der Bewohner der umliegenden Dörfer: “Schön ist Nienhagen, wenn sie sich nicht schlagen!”

Ein Problem der damaligen Zeit im gesamten Sollingraum war der überreichliche Branntweingenuss; Alkohol und seine Folgen waren also ein ernstzunehmendes Problem.


Die Geschehnisse

In Oldenrode, einem Nachbardorf von Nienhagen, hatte im Jahre 1819 der aus Uslar gebürtige Ludwig Götemann eingeheiratet. Bis 1826 wird als sein Beruf “Leineweber”, ab 1828 “Flurschütze” (= Jagdaufseher) angegeben, und so ein Zugezogener wollte den Einheimischen das von ihnen als Gewohnheitsrecht angesehene Wildern verbieten ...

Mehrfach hatte er Nienhagener Einwohner auf frischer Tat beim Wildern ertappt und ihnen gedroht, Anzeige zu erstatten, es aber “wegen seines Vorteils”, im Klartext er hatte Geld genommen und sich bestechen lassen, doch nicht getan. Nun wollte er seine Drohung doch wahr machen und hatte unter Mithilfe des Nienhagener Lehrers Mummentey eine Anzeige aufgesetzt. Dieses war wohl in Nienhagen durchgesickert und an dem Tage, an dem die Anzeige abgegeben werden sollte, fand man die Leiche Götemann’s in einem Bach bei Lutterbeck ...

Aus Moringen wurden zwei Assessoren mit den Nachforschungen betraut. Sie begannen ihre Untersuchungen allerdings nicht am Leichenfundort, sondern in den Dörfern. Die Leiche blieb vor aller Augen liegen; es gab dort einen Menschenandrang und hinterher war eine Spurensicherung nicht mehr möglich. So beschränkte sich die Arbeit der Ermittelnden auf das Befragen der Bevölkerung und das Aufschreiben von deren Antworten. Ein Ermittlungsergebnis bzw. einen Tatverdacht --- gab es nicht.

Also wurden die Befragungen ausgeweitet auf Fredelsloh, Lutterbeck, Nienhagen, Lutterhausen, Blankenhagen, Trögen, Üssinghausen, Espol, Schlarpe, Delliehausen, Volpriehausen, Hollenstedt, Iber, Stöckheim, Dörrigsen. Überall fanden solche “Visitationen” statt, ohne Ergebnis.

In der Bevölkerung hielt sich jedoch ein Gemunkel, dass Götemann Schweigegeld genommen haben solle, trotzdem aber eine Anzeige erstattet habe oder erstatten wollte. Außerdem waren da die geäußerten Rachegelüste der Nienhagener und deren Wut und Hass, die in dem Zitat gipfelten, “Götemann möge nie wieder über das grüne Gras gehen können.”

Allmählich führte also die Spur nach Nienhagen zurück. Anzumerken sind an dieser Stelle die Kompetenzen der Assessoren: Kam bei ihnen beim Protokollieren der Aussagen ein Verdacht auf, z. B. wenn ein Befragter überängstlich antwortete, so konnten sie ihn ohne Weiteres abführen und ins Gefängnis nach Moringen bringen lassen.

Das geschah mit folgenden sechs Nienhagener Einwohnern:

  • Heinrich Wilhelm Hoffmann, Leineweber,
  • Philipp Johann Kreitz, Leineweber,
  • Christian Friedrich Hildebrand, Schmiedegeselle,
  • Ludwig Heese, Kuhhirt (Anmerkung: Bei Sohnrey wird er fälschlicherweise Herre genannt),
  • Johann Christian Friedrich Langheim, Weißbinder (= Maurer) und
  • Christian Friedrich Hoffmann, Ackermann (älterer Bruder des zuerst genannten).

An dieser Stelle muss etwas zu den damaligen Vernehmungsmethoden gesagt werden: Seit dem Jahre 1822 war die Folter abgeschafft. Ansonsten galt immer noch die “Kriminalinstruktion” des Königreichs Hannover aus dem Jahre 1736, d. h. ein Tatgeständnis musste beigebracht werden, nur eben ohne Einsatz der “peinlichen Frage”. Um dieses zu bekommen, fanden Vernehmungen zu jeder Tages- und Nachtzeit statt, ganz wie es den Vernehmenden in den Sinn kam. Verdächtige wurden also aus dem ersten Schlaf gerissen und noch schlaftrunken verhört. Die Geistlichkeit, also die Moringer Pastoren, wurde ebenfalls eingespannt, um ein Geständnis zu erhalten. Man konfrontierte die Tatverdächtigen auch mehrfach mit dem Leichnam Götemanns (am 7./8. Feb. 1828 ermordet, seziert am 9. Februar im Amtszimmer, dort lag er bis zum 14. Feb.; an diesem Tage wurde er begraben.).

Endlich, in der Nacht vom 13./14. Februar war der 20jährige Langheim “mürbe” (damit erklärt sich auch das Beerdigungsdatum; die Leiche wurde jetzt nicht mehr zu Vernehmungszwecken benötigt.) und gestand folgenden Tathergang:

Am 20. Januar 1828 zur Kirchgangszeit trafen sich Nienhagener Einwohner und veranstalteten eine Jagd mit “Gewehren und ungefesselten Hunden” im Oldenroder Busche. Leider war Götemann zu diesem Zeitpunkt nicht wie erwartet in der Kirche, sondern zuhause und hörte die Schüsse. Diensteifrig (kein Wunder, seine Bezahlung erfolgte nach dem “Leistungsprinzip” und bestand z. T. aus “Pfändegebühren”) machte er sich auf den Weg und stellte die Wilddiebe.

Diesen war klar, dass sie für Wilddieberei, und dann noch an einem Sonntag zur Kirchgangszeit, eine besonders harte Strafe erwarten würde. Sie machten ihm jedenfalls ein Geldangebot ...

Ob es angenommen wurde oder nicht, läßt sich heute nicht mehr eindeutig klären. Dafür möchte ich an dieser Stelle die Moringer Chronik von 1983 auf den Seiten 328 und 226/337 zu Wort kommen lassen:


Moringer Chronik
“Ein bemerkenswerter Mordfall ereignete sich 1828, der die Gemüter der Einwohnerschaft von Oldenrode erregte. Am 8. Febr. 1828 erhielt das Amt Moringen Anzeige, daß der Feldhüter Ludwig Goetemann aus Oldenrode an einem Bache zwischen Lutterbeck und Oldenrode tot aufgefunden sei. Die Untersuchungen ergaben Mord, Goetemann hatte einige Tage zuvor mehrere Einwohner aus Nienhagen beim Wilddieben ertappt - unter ihnen Christian Friedrich Hillebrandt und Friedrich Langheim - und angezeigt. Am Abend des 7. Febr. war Goetemann von einem Nienhagener Einwohner in sein Haus eingeladen und tüchtig mit Schnaps bewirtet worden. Unterdessen machten sich Hillebrandt und Langheim - wie unter den Nienhägern vorher verabredet - auf den Weg nach Oldenrode bis zum Wackelberg und lauerten hier Goetemann auf. Zwei weitere Einwohner von Nienhagen begleiteten Goetemann ein Stück auf seinem Heimweg und kündeten - wie vorher verabredet - die Annäherung Goetemanns durch lautes Singen an. Der nun allein weitergehende Goetemann wurde dann von den beiden ersteren mit Knüppeln niedergeschlagen, gefesselt und, um ihn am Schreien zu hindern, sein Mund mit Kleidungsfetzen und Moos verstopft. Als die Missetäter dann feststellten, daß Goetemann erstickt war, schleiften sie den Leichnam quer über das Feld zu dem zwischen Oldenrode und Lutterbeck befindlichen Bach, um vermutlich einen Ertrinkungstod eines Betrunkenen vorzutäuschen bzw. in der Hoffnung, daß er mit der Strömung nach Lutterbeck vertrieben würde. Hillebrandt wurde am 8. Febr. und Langheim am 12. Febr. 1828 verhaftet. Beide wurden in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung zum Tode verurteilt. Die Vollziehung der Todesstrafe durch Enthauptung fand am 20. Sept. 1831 auf dem Moringer Galgenberg statt. Seit dem 12. Aug 1738 hatte dort keine hochnotpeinliche Hinrichtung mehr stattgefunden und es sollte diese auch die letzte sein. Zur Hinrichtung mußten aus Abschreckungsgründen 2/3 der erwachsenen männlichen Bevölkerung zugegen sein. Da diese Exekution die Gemüter der Bevölkerung sehr bewegte, waren am Tage der Hinrichtung 50 Husaren vom Cambridge-Husaren-Rgt. aus Northeim, 60 Infanteristen vom 10. Inf.-Reg. aus Göttingen und 20 Landdragoner zur Aufrechterhaltung der Ordnung eingesetzt. Nach der Exekution wurden beide Leichname unter Aufsicht des Untervoigts Fischer nach Göttingen in die Anatomie transportiert.”

 

Kichenbücher

Auch die Moringer Kirchenbücher befassten sich mit dem Mordfall, da die Pastoren wie oben beschrieben an den Vernehmungen beteiligt und natürlich für die seelische Betreuung der Delinquenten zuständig waren (es folgt die Schilderung im Original-Wortlaut, Original-Schreibweise und Original-Interpunktion):

"Langheim u. Hillebrand haben in der Nacht vom 7 - 8 Febr. 1828 den Feldhüter zu Oldenrode Andreas Ludwig Götemann, der diese u. noch einige andere Einwohner aus Nienhagen vorher auf der Wildbahn getroffen u. angegeben, auf dem Wackelberge zwischen Nienhagen u. Oldenrode auf Anrathen des Hirten Christian Ludwig Heese u. des Einwohners Christian Friedrich Hoffmann beide aus Nienhagen ermordet. Die jungen Menschen hatten anfangs nicht die Absicht Götemann zu töten, sondern wollten ihm nur eine tüchtige Tracht Schläge geben. Die hatten sich zudem beide auf dem Wackelberge aufgestellt um hier den Göt. zu empfangen, der von Nienhagen nach Oldenrode hier vorbeikommen mußte. Heese u. Hoffmann hatten den Arglosen bei sich bis zur Nacht zurückgehalten u. bewirtet u. hatten ihm unter der Maske der Freundschaft das Geleit bis zum Wackelberge gegeben. Oben angekommen ergreifen die jungen Leute den Götemann u. werfen ihn erhitzt vom Brandwein nieder u. mißhandeln ihn mit Schlägen. Nun gehn sie zurück - treffen aber bald Heese u. Hoffmann. Diese gefühllosen Menschen bringen durch Bitten u. Brandwein u. Vorhalten der Strafe, die sie gewiß erkannt wissen, die Jünglinge die böse That zu vollenden, so daß sie das Opfer Götemann wieder aufsuchen, aufs Neue schlagen u. ihm Moos in den Hals stopfen, welches von Hillebrand gerupft und von Langheim hineingestopft wurde. Die Mörder nahmen hiernach den schrecklich mißhandelten auf den Rücken trugen ihn fort und warfen ihn in den Bach bei Lutterbeck, Flud genannt, nachdem er schon unterwegs den Geist aufgegeben hatte. Der Leichnam wurde tags darauf gefunden, u. davon dem Amt Anzeige gemacht. Nach mehreren Judicien wurden mehrere Einwohner aus Nienhagen eingezogen auch Langheim u. Hillebrand.

Schon in der zweiten Nacht der gefänglichen Haft bekennt Langheim, von Gewissensbissen gefoltert die schwarze That. Heese ist zeitlebens in die Kalkberge in Lüneburg, Hoffmann zeitlebens in das Zuchthaus zu Celle geschickt. Die Vollstrecker des Planes wurden in allen Instanzen zum Tode verurtheilt, der Gnade nicht vom Ministario empfohlen, u. am 20. Sept. enthauptet u. zwar zuerst Hillebrand u. dann Langheim, der bis die erste Enthauptung vollendet war, hinter einem Sarge, der den Gerichtsplatz verdeckte, hatte halten müssen. Die Missethäter wurden in den letzten 14 Tagen täglich im Gefängnisse besucht u. zwar Langheim vom Pastor prim. Wehmann u. Hillebrand von mir, dem pastor sec. Steinmetz u. beide zeigten innige Reue u. tiefen Glauben u. empfingen mit seltener Ruhe, die aus ihrem Glauben an Gottes Barmherzigkeit entsprang, den Todesstreich. Sie erregten durch ihr Betragen während der Dauer ihrer Gefängnishaft u. durch das christliche Verhalten in ihren letzten Tagen große Theilnahme u. es ist den unglücklichen Jünglingen manche Thräne nachgeweint. Nach dem Richtplatz begleitete mich der Past. Cidemann aus Fredelsloh u. die Past. prim. Wesemann past. Homann aus Trögen. Die zeitigen Beamten waren Amtmann Chüden, Amtsassessor Dieterichs, supernum Wippern, Chüden Kolbe u. der Auditor v. Hinüber.“


Das Gerichtsverfahren

Über den Tathergang und das Ende der Tragödie haben die beiden eingefügten Texte hinreichend informiert, doch zwischen den Geständnissen und den Urteilen “Zuchthaus Celle”, “Kalkberge Lüneburg”, “Enthauptung” hat ein Gerichtsverfahren stattgefunden, dessen Ablauf nicht unserem heutigen Rechtsempfinden entspricht. Daher muss es an dieser Stelle geschildert werden:

Dem Tateingeständnis folgten artikulierte Verhöre. Darunter muss man sich Folgendes vorstellen: Alte Aussagen der Beschuldigten wurden durchgesehen und sich daraus ergebende neue Fragen formuliert. Die Antworten der Beschuldigten wurden wortwörtlich zu Protokoll genommen. Solch ein artikuliertes Verhör dauerte nicht selten einen ganzen Tag.

Die sich anschließende Phase ist das Defensionsverfahren, dazu konnten sich die “Inkupanten” zur Urteilssprechung einen Advokat als Verteidiger wählen; in diesem Falle waren das der Moringer Advokat Dr. jur. Bussenius und Dr. jur. Meyer in Clausthal, die Entlastungsmaterial zusammentrugen und zu Papier brachten.

Danach wurde das gesamte Aktenmaterial, ein ungeheuerer Berg von Papier, zur Justizkanzlei nach Göttingen geschickt zur Findung des Urteils. Das gesamte Verfahren war schriftlich und geheim. Richter urteilten also über Personen, die sie nie gesehen oder gehört hatten. Entsprechend sahen die Urteile aus:

Heinrich Wilhelm Hoffmann und Philipp Johann Kreiz kamen glimpflich davon: Sie wurden zu je 8 Wochen Gefängnis wegen Wilddieberei verurteilt, die ersten und letzten 14 Tage abwechselnd bei Wasser und Brot. Heese und Hoffmann wurden zu lebenslänglichen Haftstrafen in den Lüneburger Kalkbergen bzw. dem Zuchthause Celle verurteilt.

Wahrscheinlich um ein Exempel zu statuieren und der widerspenstigen Weperbevölkerung zu zeigen, wie man mit Personen umgeht, die sich den Anordnungen der Obrigkeit widersetzen (dafür spricht die Teilnamepflicht an den Hinrichtungen, aber auch das übergroße Militäraufgebot, da man wohl mit Übergriffen der aufgebrachten Bevölkerung rechnete), wurde für Langheim und Hildebrand das Todesurteil ausgesprochen. Beide gingen mit Hilfe ihrer Defensoren (= Verteidiger) in die Berufung. Zuständig dafür war als Zweitinstanzgericht Hildesheim, eine Kollegialbehörde der Justizkanzlei Göttingen. Geschlagene 1 1/2 Jahre, in denen die Verurteilten im Moringer Gefängnisse in dumpfen, engen Kojen in Zellen in die kaum Licht fiel, um ihr Leben zitterten, brauchte dieses Zweitinstanzgericht, um dann das Göttinger Urteil ohne Begründung zu bestätigen.

Das folgende Gnadengesuch wurde ebenfalls abgelehnt, obwohl die Anwälte “aufs wärmste für die Verurteilten eintraten”.

In den 50er Jahren hat es die Gerichtsakten, in Schweinsleder gebunden, noch gegeben, wie mir vor wenigen Jahren der in der Zwischenzeit leider verstorbene Moringer Standesbeamte Washausen erzählte, der bei “der Stadt” gelernt hatte und in dieser Zeit die Akten abstauben mußte. Heute sind sie nicht mehr vorhanden, doch in der Zwischenzeit ist auch das Rathaus umgezogen ...


Die Personen

Über die Sache sind Sie nun hinreichend informiert, aber wir dürfen nicht vergessen, dass es sich nicht um eine Geschichte der Regenbogenpresse oder einen Krimi aus dem Fernsehen handelte, sondern dass es real existierende Menschen waren, unbescholtene Menschen wie Sie und ich, die auf Grund ihrer Denkweise und der Umstände in diese Tragödie verwickelt wurden und dafür mit dem Leben bzw. Zuchthausstrafen bezahlt haben. In dieser letzten Passage will ich nun versuchen, Ihnen diese Menschen vorzustellen, vorzustellen mit Hilfe des Materials, das ich in den Kirchenbüchern gefunden habe.

Christian Ludwig Julius Heese, Kuhhirte

Christian Heese wurde als Sohn des um 1770 in Blankenhagen geborenen Ziegenhirten Johann Heinrich Heese und dessen Ehefrau Dorothee Albrecht aus Blankenhagen im Jahr 1793 geboren. Die Mutter verstarb bereits 1824 in Nienhagen an Wassersucht, der Vater 1843 an Altersschwäche. 1823 wird als Beruf “Hirtensohn” genannt, 1825 “Hirte zu Marienstein”, 1828 “Kuhhirte”, 1830 “jetzt Sträfling im Kalkberge zu Lüneburg”. Er heiratete 1823 die 1802 in Nienhagen geborene Marie Luise Kohrs, die dort 1854 an Nervenfieber starb. An Kindern sind bekannt: Dorothee Caroline Friederike, * 1823 in Nienhagen, die 1845 in Nienhagen Carl Friedrich Dörnte heiratet, außerdem Hanne Dorothee Wilhelmine, * 1825 in Nienhagen, + 1825 in Nienhagen an Zehrung (= Lungenschwindsucht) und Heinrich Ludewig, * 1828 in Nienhagen, + 1831 in Nienhagen an Knochenfraß.

Christian Heese starb, zu lebenslänglicher “Karrenstrafe” verurteilt, am 10.01.1848 in Lüneburg an Wassersucht. Im Moringer Sterberegister findet sich folgende Eintragung: “ist laut vorgelegten Todtenscheins am 10. Januar 1848 an der Wassersucht in der Kaltenstrafanstalt zu Lüneburg gestorben. Dieser Heese war der Hauptanführer des d. 8. Fbr. 1828 an dem Feldhüter zu Oldenrode Götemann verübten Mordes. Er wurde zu lebenslänglicher Sittenstrafe verurtheilt, und den 3. Septbr. 1829 in Lüneburg abgeliefert. Die beiden Mörder Hildebrand und Langheim wurden hier d. 20. Septbr. 1831 enthauptet.”

Christian Friedrich Hoffmann, Ackermann

Friedrich Hoffmann wurde als Sohn des aus Schlarpe gebürtigen Leinewebers, später Ackermanns Johann Andreas Hoffmann und dessen aus Nienhagen gebürtigen Ehefrau Anna Margarethe Luise Mecke am 07.06.1795 in Nienhagen geboren. Die Mutter verstarb bereits 1827 an Brustfieber, der Vater am 21.04.1828 an Asthma. Im Sterberegister findet sich folgender Eintrag: “morg. 6 Uhr an Asthma, auch Kummer über seinen ältesten Sohn und jetzigen Hausherrn, der als Theilnehmer an der Ermordung Götemanns jetzt geschlossener Gefangener ist, - alt 64 Jahre”. Als angehender Hoferbe heiratet er 1819 in Nienhagen Hanne Marie Dorothee Wilhelmine Bierkamp, die 1856 an Schlagfluß stirbt. Bekannt sind mir aus dieser Ehe 5 Kinder: 4 Töchter und der Sohn Heinrich Wilhelm (1827 geboren), der 1852 in Nienhagen Hanne Wilhelmine Charlotte Schoppe heiratet. Die Tragik seines Endes habe ich bereits im Anfangsteil beschrieben; er muss um 1868 aus Lüneburg nach Nienhagen zurückgekommen sein, seine Frau war bereits verstorben, der Sohn, der bei der Inhaftierung seines Vaters gerade 1 Jahr alt war und diesen nur vom Hören-Sagen kannte, natürlich verheiratet, und dann kehrte er als begnadigter Sträfling nach 40 Jahren in die Familie, die gar keine Beziehung zu ihm hatte, zurück. Kirchenbucheintragungen zu seinem Tode finden sich nicht, er wurde also auch nicht in Nienhagen begraben.

Christian Friedrich Hillebrand, Schmiedegeselle

Christian Friedrich Hillebrand wurde am 09.10.1809 "unehelich" in Delliehausen geboren, d. h. seine Mutter Wilhelmine Justine Werneke konnte seinen Vater Heinrich Hillebrand nicht mehr heiraten, da dieser 1813 in Russland im Kriege geblieben war. So arbeitete er als Schmiedegeselle beim Hufschmied und Bauermeister Plenge in Nienhagen. Bekannt ist, dass er zusammen mit seiner Braut Hanne Marie Charlotte Hildebrand einen Sohn hatte. Das Kind, Carl Georg, wurde am 24.08.1828, als sein Vater sich bereits in Haft befand, geboren und starb am 16.04.1831 morgens 8 Uhr an Scharlach in Nienhagen. Den Tod seines Kindes erlebte der Vater als zum Tode Verurteilter in Moringen im Gefängnis.

Pastor Petrosilius in Delliehausen, bei dem er nach der Konfirmation die Kühe gehütet hatte, setzte sich vehement für Hillebrands Begnadigung ein und beschreibt dessen Wesen mit folgenden Worten: “Herrschende Leidenschaften, die im Solling nicht selten zu finden sind, als Trunkfälligkeit, Spielsucht, Hang zur Wollust, Schlägerei u. dgl. hat er nie geäußert.”

Von Hillebrand wissen wir ferner, dass er im Gefängnis die Tage und Nächte in großer Todesangst verbrachte. Bei der Eröffnung des Todesurteils fiel er in Ohnmacht. Nachdem die Berufung erfolglos war und die Gnadengesuche abgelehnt wurden, wünschte er “mit seine nicht minder verzweifelten Mutter nochmals ein Gnadengesuch abzuschicken, was aber verwehrt wurde”.

Am 4. September 1831 wies die Justizkanzlei Göttingen das Amt Moringen an, die Hinrichtungen “ungesäumt vorzubereiten” und am 20. September 1831 zu vollziehen. Mit der Hinrichtung durch das Schwert wurde der Scharfrichter Jäger in Einbeck betraut ...

Johann Christian Friedrich Langheim, Weißbinder

Friedrich Langheim wurde am 16.08.1804 morgens um 8 Uhr in Vorwerk Holtensen bei Moringen als Sohn des Nachtwächters Johann Georg Friedrich Ludwig Langheim aus Dassel und dessen Ehefrau Dorothee Sophie Elisabeth Böker aus Nienhagen geboren. Konfirmiert wurde er 1818 in Nienhagen. Die Eltern hatten 1788 in Einbeck geheiratet, der Vater war 1800 “Soldat beym 6. Infantrie Regiment”, 1804 “Nachtwächter zu Vorwerk Holtensen” und 1829 “Häusling zu Nienhagen”. Er starb, als sein Sohn im Moringer Gefängnisse einsaß, am 19.01.1829 abends 10 Uhr an Brustkrankheit in Nienhagen. Die 1776 in Nienhagen geborene Mutter starb am 01.01.1843 an Altersschwäche in Nienhagen. 10 Geschwister von Friedrich Langheim habe ich datenmäßig erfasst.

Friedrich Langheim, der Maurer, wird als “ruhig und gefaßt” beschrieben. Er erklärte, er habe sich auf den Tod schon vorbereitet, bitte aber, dass ihn kein Schinderknecht unter die Hände kriege ...

Diese Gelassenheit und das Sich-Ergeben in sein Schicksal waren aber nur vorgespielt. Innerlich wartete er nur auf eine Gelegenheit zur Flucht. Diese bekam er auch Dank eines schläfrigen, alten und kreuzlahmen Wächters. Er floh in die Wälder des Sollings, wo er 3 Tage umherirrte. Dann fand ihn - völlig erschöpft - der Ellieröder Förster Hungerland. Langheim wurde zum Amt Moringen zurückgebracht und Hungerland erhielt 40 Taler Fangprämie, von denen er 10 Taler der Witwe Götemanns schenkte. Nachzutragen bleibt noch, dass dieser Förster später durch Wilderer bei der Bramburg erschossen wurde.

Langheim wurde nicht vom Scharfrichter Jäger enthauptet, sondern von einem Ersatzmann aus Göttingen, der dieses mit “außerordentlicher Gewandtheit und Sicherheit” machte, nachdem es Jäger bei der Hinrichtung Hillebrands nicht gelungen war, “den Kopf mit einem Streiche vom Rumpf zu trennen”. - Man erspare mir bitte nähere Einzelheiten ...

Johann Andrea Ludwig Götemann, Flurschütze

Götemann wurde als Sohn des vor 1819 verstorbenen Jürgen Andreas Götemann am 18.08.1794 in Uslar geboren. Im November 1819 heiratete er in Oldenrode Hanne Charlotte Luise Grimme (* 04.01.1796 in Oldenrode, + 19.11 1842 um 7 Uhr morgens nach langem Siechtum in Oldenrode). 1818, 1824 und 1826 wird als Beruf “Leineweber” angegeben, 1828 “Flurschütze”. Bei seiner Beerdigung am 14.02.1828 finden wir folgenden Eintrag im Kirchenbuch: “seit längerer Zeit Flurschütze zu Oldenrode, wurde von mehrerer Mörder Händen getödtet und körperlich sehr gemißhandelt zwischen Oldenrode und Lutterbeck gefunden am 8. Febr. gegen Mittag, alt 34 Jahre. Er wurde öffentlich begraben, und beide Prediger und Schulen bezahlt. Die Theilnehmer an dieser Mordthat sind bald entdeckt und gefangengesetzt, haben schon ziemlich ausführlich ihre Schandthat bekannt und erwarten ihr Urtheil.”


Literatur

Moringer Kirchenbücher

Walter Ohlmer: “1000 Jahre Moringen 983-1983”, Hildesheim 1983

Heinrich Sohnrey: “Tchiff tchaff, toho!”, Berlin 1929

Heinrich Sohnrey: “Die Sollinger”, Berlin 1924

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