Moringer Geschichte(n) - Moringer Familien

Dornröschendorf

Nienhagen als Dornröschendorf
"Der Heimatfreund" Nr. 28 , 28. März 1964

Es kann so 40 bis 42 Jahre her sein, als ich zum ersten Mal nach Nienhagen kam. Vorher war ich viel in Deutschland herumgereist, im Schwarzwald, an der Nord- und Ostsee hatte ich manches kleine Dörfchen gesehen, aber wie Nienhagen mir in seiner damaligen Fast-Unberührtheit vorkam, davon möchte ich berichten.

Zunächst war für mich eine weite Strecke mit dem Personenzug „4. Klasse“ zu fahren, dazu an der Weser vorbei. Früher habe ich all die Stationen gewusst, die ich nun nicht mehr wiederholen kann. Angekommen abends in Moringen, dann noch ein Fußmarsch nach Nienhagen. Gewiss ist es für den, der die Bequemlichkeit einer Straßenbahn nicht kannte, nicht so ungeheuer weit, wie es mir damals vorkam. Aber bei der letzten Wegkehre sah man hin und wieder ein kleines Lichtchen. Oh ja, der Eingang ins Dorf war ja furchtbar. Es hatte geregnet - und dieser Dreck!, der sich in die Schuhe setzte und ein Weiterkommen verzögerte. Dabei fiel mir der Geruch des verbrennenden Holzes auf, ich war ja nur an den Kohlegeruch gewöhnt. Endlich war es soweit, dass wir im Hause waren. Zuvor hatte ich mir das Plätschern des Dorfbrunnens angehört und war nun begierig darauf, wie alles bei Tage aussehen würde.

"Willkumen, szettet Jöck" war mir ein schöner Gruß, bei dem es einem warm ums Herz wurde, den ich dann nachher noch oft wiederhörte. Leider ist diese Sitte heute fast verschwunden. Ein so netter Gruß dürfte eigentlich gar nicht der Neuzeit geopfert werden.

Die Balkendecken in den Stuben waren gemütlich und machten die Stuben noch gemütlicher beim Schein der Petroleumlampen, die von der Decke herunterhingen, und alles saß im Kreise, spinnend und "prohlend", was ich ja nicht verstand. Dass ich die Zielscheibe allerhand Schabernacks war, nur so nebenbei. Mit so dummen Fremden aus der Stadt konnte man das ja machen, was ich aber auch nicht übelgenommen habe. Aber als es nun Tag war, sah ich mir das Dorf an und war erschrocken über den Dreck auf den Straßen. An den Brunnen war nicht zu kommen, man versank knöcheltief im Schlamm. Das Vieh wurde doch zur Tränke an die Brunnen geführt, und da war das ja verständlich. Es beeindruckte mich, das nur wenige Fenster "Chardeinen" hatten, es sah ja so hübsch aus, die blanken Fensterscheiben und dazu Blumen oder Myrthenstöcke.

Die Kinder gingen so bescheiden, Tafel und Bücher unter dem Arm, zur Schule. Die Mädchen in sauberen siamosen Schürzen, mit selbstgestrickten Strümpfen und derben Schuhen. Waren die Kinder so 4 - 5 Jahre, mussten sie die Gösseln an der Lehmkuhle hüten. Ich sah Kinder spielen, die eine Zigarrenkiste als Bettchen für die von den Müttern selbstgemachten Puppen hatten, und wie vertieft konnten sie damit spielen. Wie die Kinder im allgemeinen sehr bescheidener waren. Da war wohl manches Kind in der Zeit, das noch nicht die Eisenbahn gesehen hatte, geschweige damit gefahren war, aber auch ebenso viele ältere Leute.

Die Frauen mussten hart arbeiten. Jeden Tag die Schlepperei mit dem Dämpfer und das Kochen, wie all' die dazugehörende Arbeit, bis es endlich fertig zum Futtern war.

Davon hatte ich ja überhaupt keine Vorstellung, alles Wasser am Brunnen mit der "Schanne" holen, da sah ich ein, wie verwöhnt man in der Stadt war. Das Essen hat mir dort immer geschmeckt, aber was ich nicht kannte, waren die Backofenerbsen. Dass das tägliche Brot im Hause gebacken wurde, verstand ich zunächst auch nicht, bis ich es einmal erlebte, wie meine Schwägerin Brot backte. Nachdem das Brot aus dem Ofen genommen war, kamen die Erbsen hinterher in den Backofen. Ich habe sie sehr gerne gegessen, wie auch das kernige Hausbrot, was es heute ja alles nicht mehr gibt, oder selten noch. Ich weiß, wie ich meinem sel. Vater nachher davon erzählt habe, denn er war Bäckermeister im Rheinland.

Bei der großen Wäsche trugen die Frauen in Kiepen ihre Wäsche zum Auswaschen an den Brunnen, oder meine Schwägerin trug sie im Frühjahr auf die Winterhalde zum Bleichen. "Kutscher Karl" Spangenberg hatte damals noch einen Webstuhl, und selbstgewebte Beiderwand-Kleidung war Mode. Das selbstgesponnene Leinen habe ich bewundert und später manches Chiffon- oder halbleinene Bettuch gegen ein so grobes Leinentuch eingetauscht. Mein Mann brachte noch, außer rot-weiß karierten Kopf- und Deckbettbezügen, ein halbes Dtzd. leinene Handtücher, 12 Leinen-Hemden, eine Stiege Leinen, 12 Paar schafwollene Strümpfe, Oberbett und 2 Kopfkissen mit in die Ehe. Was ja in der Stadt unglaubhaft war. Er hatte alles in einem großen Holzkoffer, den er beinahe nicht bekommen hätte, weil ein Bahnbeamter ihn nach Köln deklariert hatte. Wir haben ihn dann noch nach Bonn zu meinem Bruder weiterleiten lassen und Stück für Stück durch die französische Besatzungszone (es war ja die Zeit nach dem ersten Weltkrieg) geschmuggelt. Das war eine Aufregung ...

Doch nun noch einmal zurück nach Nienhagen, wo ich bei der reinen Weperluft damals immer gut auf dem Strohsack geschlafen habe. Diese herbe und gesunde Weperluft empfand ich besonders wohltuend, da bei uns doch schon mehr eine schlechtere Luft war. In der Zeit nach dem ersten Weltkrieg habe ich in Nienhagen auch eine große Bauern-Hochzeit mitgemacht, da habe ich nur gestaunt, was es noch alles gab. Wie unwahrscheinlich war mir, was da alles geschlachtet und verbraucht wurde, dazu die Platenkuchen, Torten gab es damals noch nicht. Der Gang in die alte Kapelle, die Trauung, und nachher, wie alle am Wege standen und einen „Lüttjen“ eingeschenkt bekamen, das war mir wie in einem Märchen, was ich da alles erlebte. Feste zu feiern verstehen sie auf dem Lande. Bei einer anderen Hochzeit, die ich später erlebte, haben wir noch im Saal beim „Kreuger“ getanzt. Diese Gegensätze, sonst die schwere Arbeit und dann mal drei Tage feiern, kann man mit dem Sprichwort verstehen: Tages Arbeit - abends Gäste, saure Wochen, frohe Feste. Das traf haargenau die Weperleute.

Bei der Heimfahrt konnten wir wenigstens bis zur Moringer Molkerei mit dem Milchwagen fahren, der von Kühen gezogen wurde, wie zumeist auf dem Felde mit Kühen gearbeitet wurde.

Ich bin immer gerne und oft in Nienhagen gewesen und bedauerte nur, wie vieles so verstädterte, was ich vielmals bemängelt habe, so das Verschwinden der Börde aus den Stuben, die alten Kachelöfen und die Öfen mit den eisernen Bildplatten, auf denen der alte Kaiser oder anderes zu sehen war.

"Wei möttet modern wer'n" war die Devise, und man hat sich damit die Gemütlichkeit genommen. Die Errungenschaften der Technik auszunutzen, ist auf dem Lande heute im Dienste einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft angebracht, aber Stadt muss Stadt und Dorf sollte Dorf bleiben.

Alle Weper-Hasen grüßt mit diesen Erinnerungen

AUGUSTE KÖNIG


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