Moringer Geschichte(n) - Moringer Familien


Wenn Kermisse is ...

Wenn Kermisse is ...
Von Wilfried Hartje,
geschrieben für den Gemeindebrief
September 2005

Man soll nicht meinen, der Sinn der Kirmes in den Weperdörfern hätte lediglich darin bestanden, die Spinnweben aus den Ecken zu kehren, die Küchen blitzblank zu putzen, die Höfe rein zu fegen und Gäste zu laden und sich zu vergnügen.

Sohnrey erzählt uns in seinen "Sollingern" mehr darüber: "Kermisse" war das höchste weltliche Fest des Dorfes, nachdem die Ernte größtenteils beendet war, man nun Geld und Zeit hatte und daher in der richtigen Stimmung war für ein paar fröhliche Tage.

In Nienhagen wurde die Kirmes gewöhnlich später im Herbst gefeiert, weil "de Kreuger den Saal vull Hawern banset hät – hei mott irst daschen." So eine Kirmes erforderte natürlich ihre Vorbereitungen:

Im Laufe des Jahres angefallene Schäden an Haus und Hof mussten vor dem Fest abgestellt werden und man sah in den letzten Tagen vorher den "Wittchebinder"(Weißbinder, Maurer) überall im Dorfe an der Arbeit. Der Kalkputz der Hauswände wurde erneuert, Stuben, Kammern und Diele, ja selbst die Ställe wurden geweißt, alle Ecken umgekramt und die Spinnweben beseitigt. Nun konnte der Besuch, Verwandte und Bekannte aus den Nachbardörfern oder von weiterher, getrost kommen.

Am Sonnabend, die Kirmes fiel immer auf Sonntag und Montag, schlachtete der Vater "n’ Bock", während die Mutter mit den weiblichen Gliedern des Hauses ganze Berge von Kuchen backte: Butter-, „Smant“-, Zwetschen und Apfelkuchen und dazu noch zwei bis drei weiße "Luffen", mit und ohne Rosinen. Frischer Kuchenduft erfüllte das ganze Dorf, wenn die Frauen zwischen Back- und Wohnhaus mit ihren Kuchenblechen hin und her eilten. Diese großen Kuchenmengen waren notwendig, um "ja nicht in Verlegenheit zu kommen". Es gehörte zur Gastfreundschaft in den Weperdörfern, dass jeder auswärtige Kirmesgast beim Abschiede zwei große Kuchenstücke als "Reisepass" erhielt. Eine echte Weper-Bauersfrau hätte es als etwas Schimpfliches empfunden, wenn sie nicht genug Kuchen gebacken hätte, um jeden Gast in der üblichen Weise beschenken zu können.

Als Festessen gab es am ersten Kirmesabend (z. B. in Espol) "Schapzapperls", das waren Schafskaldaunen, die aus den Eingeweiden zubereitet wurden. Mein Großvater in Nienhagen schwärmte immer von diesem größten Festtag des Jahres, "an dem das Fleisch mit dem Löffel gegessen wurde". Alle Gäste aßen mit, aus einem und demselben großen Reisbrei-Napfe, nachdem sich jung und alt beim Tanze auf dem Krugsaale vergnügt hatten.

"Schön ist Nienhagen - wenn sie sich nicht schlagen ..." - Bis in das Ende der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts hinein hatte es kaum eine Kirmes gegeben, an der sich die jungen Burschen nicht gegenseitig die Köpfe blutig schlugen, dermaßen sogar, dass der Moringer Arzt Dr. Kühn, der die zertrümmerten Schädel zusammenflicken musste, später erzählte, er habe erst in Nienhagen erfahren, was ein richtiger Bauernschädel auszuhalten vermöchte.

Wenn dann in früherer Zeit der Pastor den Kirmesplatz besuchte, gehörte es zum guten Ton, dass ihm die jungen Bauern ihre Frauen zum Tanze brachten, um ihn dadurch zu ehren. Andererseits gehörte dazu, dass die jungen Männer mit der Frau Pastor tanzten, und was ein rechter Pastor und eine rechte Pastörsche waren, die brauchten auch nicht zu fürchten, dass dabei die Pastorenwürde Schaden litt.

Sonst ist die ursprüngliche kirchliche Bedeutung des Festes im Laufe der Zeit völlig verloren gegangen und Heinrich Sohnrey beklagte schon 1927 bitter, dass "die Kirmes zu einem ausschließlichen Tanzfeste herabgesunken sei", dem man außer der schönen Betätigung der Gastfreundschaft auch noch einen höheren Inhalt wünschen möchte ...


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