Moringer Geschichte(n) - Moringer Familien

Als die Glocken mit Händen und Füßen geläutet wurden

Artikel in der "Moringer Zeitung" v. 24.12.66
Als die Glocken mit Händen und Füßen geläutet wurden
So einfach war das früher nicht - Alte Moringer
erinnern sich gern daran

So sah es um die Jahrhundertwende auf der Amtsfreiheit und um den Kirchturm aus in der Zeit, da der heute 91jährige Christian Cleve und der 85 jährige Gustav Brauns zur Läutemannschaft der Stadtkirche gehörten.

M o r i n g e n • Was wären die Festtage ohne unsere Glocken? Ihr Geläut kündet die Feiertage an, ruft zu den Gottesdiensten, begrüßt zur mitternächtlichen Stunde das neue Jahr. Den Menschen macht das heute wenig Mühe. Um ein elektrisches Läutewerk zu bedienen, werden ein paar Hebel betätigt und Knöpfe gedrückt, und schon beginnen sie zu schwingen, die "des Lebens wechselvolles Spiel" mit ihrem Klange begleiten. So einfach war das früher nicht.

Bis zur Anlage des elektrischen Läutewerks für die Moringer Stadtkirche in den dreißiger Jahren wurden für das Läuten unserer Glocken mehrere Personen gebraucht. Vom Läuten vor und um die Jahrhundertwende weiß noch einer unserer ältesten Einwohner zu erzählen, der 91jährige Christian Cleve. Auch der 85jährige Schuhmachermeister Gustav Brauns, der sich wohl bis zuletzt am Läuten beteiligte, weiß anschaulich davon zu berichten.

Um die Jahrhundertwende hingen - wie jetzt wieder - sechs Glocken in unserem alten Kirchturm: die kleine Viertelstundenglocke mit der Jahreszahl 1263, die älteste in Niedersachsen, dann die undatierte Stundenglocke, deren Alter auch auf über 600 Jahre geschätzt wird, dazu die Martiniglocke, die ein ehrwürdiges Alter hat. Diese drei Glocken hängen noch heute in unserem Turm. Es kam noch die kleine Meßglocke hinzu, deren Alter etwa 500 Jahre beträgt; sie kam 1949 in das Türmchen der Friedhofskapelle und erhielt erst kürzlich einen neuen Klöppel und eine neue Aufhängevorrichtung. Die größere Läuteglocke, die 1615 in Hannover umgegossen wurde, mußte im ersten Weltkrieg abgegeben werden, wie die "Bürgerglocke" von 1699.

Es gehörte früher also ein, wie man heute sagen würde, "Läute-Team" dazu, um die Glocken in Bewegung zu setzen. Um die Jahrhundertwende war "Onkel Cleve" Küster an der Stadtkirche, allerdings kein oder kein naher Verwandter unseres alten Christian Cleve, der damals zur Läutemannschaft gehörte. Küster Cleve wohnte im Rathaus in dem Gebäude hinter der Kirche, das mit seinen drei angrenzenden Häusern in den dreißiger Jahren abgebrochen wurde. In jenem Hause, das auch auf dem Bilde zu sehen ist, war unten die Küsterwohnung, oben befanden sich die Räume des "Magistrats", der Stadtkämmerei und der Stadtsparkasse. Küster Cleve hatte noch einen "Pensionär", den taubstummen Rentner Hungerland, den man in Moringen nur "Stümmeke" nannte. Stümmeke gehörte ebenfalls zur Läutemannschaft, außerdem zog er täglich an einem Seil die Betglocke.

Aber nicht alle Glocken konnten an einem Seil gezogen werden, die größeren Glocken wurden "getreten". Für jede der großen Glocken waren zwei Mann nötig, an jeder Seite der Glocke einer. Die Glockenläuter standen mit einem Fuß auf einem Balken des Glockengerüstes und hielten sich mit den Händen am Gerüst fest. Dann trat der eine auf das mit der Glocke verbundene Brett, das mit der Glocke hochschwang, dann auf der anderen Seite der zweite Mann auf das gegenüberliegende Brett, sowie es in seinen Fußbereich kam. An den Klöppeln der Glocken war ein Holz und ein Seil mit Schlaufe befestigt, die sich beim Schwingen lösten und hinterher wieder befestigt wurden. Mit abwechselnden Fußstößen wurden die Glocken also in Schwung gehalten, das benötigte schließlich nur noch wenig Kraft.

Die Läutezeit von 6 ½ Minuten wurde genau eingehalten. Einer kontrollierte die Zeit und gab das Zeichen zum Anhalten, dann hielt man den "Bammel", wie man den Klöppel nannte, fest. Es sei fast immer gelungen, das Geläut gleichmäßig, ohne Nachklingen, zu beenden, so gut sei die Läutemannschaft aufeinander eingestellt gewesen.

Die Stundenglocke hatte keinen Klöppel. Ein mit dem Uhrwerk verbundener Mechanismus betätigte einen Hammer, der die Glocke zu den vollen Stunden anschlug. Von dieser Glocke sprach man als der "Vollschlageglocke". An den hohen Festtagen wurde aber auch die Stundenglocke in das Geläut eingeschaltet. Dazu wurde im Rhythmus des Geläuts an dem Draht des Hammers gezogen, oder Schuhmachermeister Brauns hatte seinen Schusterhammer zum Glockenanschlagen mitgebracht, und als gut musikalischer Mensch traf er genau den Takt, so daß seine Vollschlageglocke genau zwischen den Tönen der großen Glocken erklang. Es gehörte schon musikalisches Gefühl dazu, mit den schönen alten Glocken umzugehen. Übrigens bekam bei der Anschaffung der drei neuen Glocken im Jahre 1959 die Stundenglocke einen neuen Klöppel zum Mitläuten.

Als Entgelt für das Glockenläuten gab es damals 50 Mark im Jahr, für das Läuten bei einer Beerdigung 1,20 Mark, was man als guten Verdienst ansah. Gerade unsere Alten von der Läutemannschaft denken noch gern an jene Zeit zurück.


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