Moringer Geschichte(n) - Moringer Familien

Dokumente im Kirchturmknopf der Stadtkirche

Dokumente im Kirchturmknopf der Stadtkirche
Wilfried Hartje, zusammengestellt im Juli 2000

Seit dem 12. September 1989 erstrahlt die Krchturmspitze der Stadtkirche wieder in neuem Glanz, denn die restaurierte Kugel und die Wetterfahne wurden an diesem Tag wieder an ihren alten Platz hoch oben auf dem Kirchturm zurückgebracht. 1936 wurden beide vom Dachdeckermeister Albert Melching installiert und waren dann 50 Jahre Wind und Wetter ausgesetzt. Da die Wetterfahne abzubrechen drohte, wurden Anfang Juli 1989 Wetterfahne und Kugel demontiert, um sich ein Bild vom Grad der Zerstörung machen zu können.

Der mit den Arbeiten beauftragte Klempner- und Dachdeckermeister Konrad Muschallik, ein in ganz Norddeutschland arbeitender Spezialist auf diesem Gebiet, kam zu der Überzeugung, dass beide Stücke nicht mehr zu retten seien, und so wurde beschlossen, beide originalgetreu nachzuarbeiten. Nach zweimonatiger Restaurierung konnten, nachdem auch die Verankerung erneuert war, die neuen Stücke wieder auf der Turmspitze installiert werden.

Die von unten wie von Fußballgröße wirkende Kugel hat tatsächlich einen Durchmesser von 85 cm, ist aus 1,5 mm Kupferblech und mit Blattgold überzogen. Die Wetterfahne wurde aus Nirostastahl gefertigt und gleicht dem Original bis ins kleinste Detail. Wie üblich, wurden auch Dokumente in die Kugel eingelassen. Neben Kopien der Dokumente, die 1936 in die alte Kugel gelegt wurden, kamen auch Schreiben der Kirchengemeinde, der Stadt, der Heimatzeitungen und eine Illustrierte ("Stern") sowie die zur Zeit gültigen Münzen (vom Pfennig bis zum Fünf-Mark-Stück) als Zeugnis für die Nachwelt in die vergoldete Kugel.

1936 wurde im Rahmen von Restaurierungsarbeiten, der ganze Turm war eingerüstet, die Wetterfahne abgenommen und in einer Schlosserei überholt. Beim Öffnen der Kirchturmkugel fand man eine versiegelte Glashülse mit zwei wertvollen, alten Dokumenten, jeweils aus den Jahren 1786 und 1837. Deren Inhalt soll an dieser Stelle vorgestellt werden.

1. Dokument im Kirchturmknopf (aus dem Jahre 1786):

Anmerkung: Im Jahre 1786 hatte der Schieferdecker Johann Heinrich Prockensüß aus Einbeck am Kirchturm und am Kirchturmknopf gearbeitet. Feierlich wurde der Knopf wieder aufgesteckt, Musikanten hatten dabei gespielt, aber für „leibliche Genüsse“ wurde von den sparsamen Kirchenvorstehern und Bürgern damals nicht gesorgt. Johann Heinrich Prockensüß sah sich daher veranlasst, hiervon der Nachwelt und besonders seinem Nachfolger Kunde zu geben.

Ein enttäuschter Schieferdecker warnt seinen Nachfolger ...

"Nota. Im Jahre 1786 d. 6. Sept. ist allhier durch dem Schiferdecker Johann Heinrich Prockensüß von Cassell jetzt wohnhaft in Einbeck der Knopf wieder auf gesteckt, und zwar mit diesen Zeremonien, das die Musicante da bey geblaßen dennoch aber nicht das geringste da bey spentieret worden ist, und auch der Knopf mit nichts weiter be Ehret als das bey den Umgänge von zwey armen Tagelohner Magdgen zwey Tücher daran gegeben, Nemlich des Tagelohner Schoppen Nahmens Hanna Maria Louise Jüngste Tochter und des Panßioneur Kattau Jüngste Tochter Nahmens Hanna Dorothea Henriete und beyde Häuslingen und von den bürgern nicht das geringste hier zu gegeben, was bey der lustbarkeit des aufstecken verzehret ist, hatt der vor er wehnte Schiferdecker von seinen schwagen besolt bezahlen Müßen, dieses Notiz geschiehet kunft wen ja ein nachfolger, diesen Knopf solte wieder verarbeyden Müßen das derselbe sich beßer vorsiehet.

Nota bey aufstecken des Knopfs hat der Schieferdecker zur gehilfe gehabt, den damahligen befindente Johann Josua Kühne und einen lehrburschen Nahmens Johann Ludwig Igesse aus Einbeck

Geschehen Moringen d. 6. September 1786

Johann Heinrich Prockensüß Schiferdecker.“


2. Dokument im Kirchturmknopf (aus dem Jahre 1837):

Das von Bürgermeister Wuthmann geschriebene Dokument im Kirchturmknopf

"October 1837

Notizen.

Die Stadt Kirche St. Mariae V. war seit länger den 30 Jahren höchst baufällig, und konnte ohne Gefahr für das Leben der Gemeinde der Gottesdienst nicht mehr darin gehalten werden.

Es wurde daher die ebenfalls baufällige Martini oder Todten Kirche nothdürftig vor 16 Jahren reparirt, um einstweilen während der Bau Zeit der Stadt Kirche darin den Gottesdienst zu halten. Seit 12 Jahren ist die Stadt Kirche bis auf den Grund abgebrochen, bislang aber, weil es der Kirche an Mitteln zum Wiederaufbau fehlte und weil über die Beytrags Pflichtigkeit der Filialdörfer, der hiesigen Domäne, der adelichen Güter in der Stadt eine Differenz entstanden, dieselbe noch nicht wieder aufgebaut, und hat man bisher den Gottesdienst in der Martini Kirche gehalten.

Der Thurm ist stehen geblieben, weil derselbe noch im leidlichen Stande befindlich und bey dem Aufbau der neuen Kirche, der hoffentlich bald erfolgt, benutzt werden soll.

Da die Schieferbedachung, und der Bleiboden, auch das Holzwerk in der Laterne des Thurmes schadhaft geworde, auch bey einem großen Sturm am 11. Novbr. 1836 die Helmstange und Wetterfahne verbogen waren, "der Sturm war in Teutschland allgemein, und hatte an hohen Gebauden und Thürmen viel Schaden angerichtet, viel Thürme und Gebaude niedergeworfen", so war die Reparation des Thurmes, Abnahme des Knopfes und der Wetterfahne, und deren Herstellung beschlossen, und im gegenwärtigen Herbste und zwar im October damit der Anfang gemacht. Nachdem das Schieferdach am Thurm, das Holzwerk in der Laterne, der Bleiboden durch hiesige Bürger und Handwerker, und zwar die Schiefer und Dachdecker Schimpf und Heinr. Senne, den Blechschläger Franke und Schlosserm. Heise Christian, den Tischlermeister Fr. Lund, hergestellt worden, wurde am 21. October durch Schimpf, Senne und Franke der Knopf, Wetterfahne und Helmstange heruntergenommen. Es fand sich dann, daß daran nichts weiter, als die unteren Gabeln der Helmstange, mit welcher dieselbe an den Baum befestigt gewesen, durch die Kraft des Windes am 11. Nov. 1836, weil solche nicht fest genug angelegt gewesen, schief gebogen waren.

Man hoffte, als den Knopf abgenommen, darin einige Notizen zu finden, es fand sich darin aber nichts, als eine kleine in Blei verwahrte Papier Rolle, welche ein Klagelied des Schieferdeckers der im Jahre 1786 den Knopf aufgesetzt hatte, darüber enthielt, daß ihm bei dem Aufsetzen des Knopfes in jenem Jahre außer der freyen Musik nicht das Geringste neben seinem Lohne gereicht worden. Die Helmstange ist nun wieder gerade gerichtet und soll dauerhafter befestigt werden. Der Knopf ist, weil eine Vergüldung zu teuer kommt, gelb, die Fahne schwarz, das darin befindliche Pferd, weiß dauerhaft angestrichen; und soll heute mit Gottes Hülfe, alles und zwar im Stillen hergestellt werden, weil die Kirche dazu keine Kosten hergeben kann, außer den nothwendigen Reparaturkosten.

Die Kosten der Herstellung des Thurms werden von der Kirche getragen und mögen sich auf 120 rt (Reichstaler) ohngefähr belaufen excl. der Kosten von 2 Zentnern Blei, und der von Goslar entnommenen Schiefersteine.

Die obige Notiz des Schieferdeckers von 1786 soll wieder in den Knopf gelegt werden.

Die Stadt befindet sich im Allgemeinen im Wohlstande. Sie zählt eine Bevölkerung von 1650 Einwohner excl. des Oberdorfs und der Amtsfreyheit, treibt insbesondere Ackerbau, der sehr in Aufnahme gekommen ist. Ansteckende Krankheiten haben hier seit langen Jahren nicht geherrscht, und die asiatische Cholera, wovon so viele Landen und Städte der Welt heimgesucht sind und wovor auch wir uns lange gefürchtet, auch vor einigen Jahren, auf höhere Verfügung manche Vorkehrungen getroffen, um dagegen im Falle ihres Eintretens nicht unvorbereitet gefunden zu werden, hat uns Gott sey dank, bislang verschont.

In diesem Jahre und zwar vor 2 Monaten starb zum großen Leidwesen des ganzen Landes, der gnädigste König Hannovers Wilhelm IV. Der Nachfolger der König Ernst August hat sofort die Regierung angetreten, residiert in Hannover, ist gnädig, hat aber das vom vorigen A. G. Könige und Landständen gegebene Gesetz noch nicht anerkannt; das Land sieht mit banger Erwartung noch immer dem Zeitpunkt entgegen, wann dieses geschehen wird, und ob es geschieht. Die Landeshuldigung ist noch nicht gefordert, die Zeit für die Hannoveraner sehr bewegt.

Gebe der Himmel einen guten Ausgang der Sache. Das Magistratskollegium besteht jetzt aus dem Bürgermeister Wuthmann Joh. Friedr. seit 1813 hier als solcher angestellt, einem Senator Poten H. Fr. Kämmerer ist der Dr. Düvel, als solcher nicht Magistratsmitglied. Die stadt soll eine andere Verfassung haben, die zur Beratung vorliegt. Ob solche besser als die bisherige? Ob die Stadt besser dabey fährt als bey der jezzigen, muß die Zeit lehren. Ego vix crediderim. (Ich glaub's kaum.)

Wir haben jetzt 2 sehr gute Prediger. Den Pastor prim. Wehmann von der Stadt gewählt nach des P. Abich Tode vor 8 Jahren und den Pastor sec. Steinmetz, welcher in dieser Zeit nach einer besseren Stelle, nach Rehburg versetzt werden wird.

Ehrichs, Rector, möge er zum Frommen der Schuljugend bald versetzt werden. Steinmetz Christ. Organist, Lachmund H. ein tüchtiger Tochterlehrer, seit 6 Monaten gewählt, Grofebert Chr. Kirchenrechnungsführer. Heise Christian Opfermann und Schlossermeister.

Bei dem königlichen Amte stehen zur Zeit
Chuden als Amtmann
Lueder als 2. Beamter Amts Assessor
v. Voigt als 3. Beamter Amts Assessor
Neuhs supern. Amts Assessor
Happe Amts Auditor

Die königliche Domäne besitzt als Pächter Th. Ebell für 300 rt jährliche Pacht, halb Gold, halb Courant M. Derselbe baut jetzt für eigene Rechnung eine große Branntweinbrennerei, welche täglich 5 - 6 Ox toff. (?) Branntwein liefern soll, die Domäne wird künftig einmahl 600 rt Pacht thun. Gutsbesitzer sind die Herren von Münchhausen und der Kaufmann Meyer, welcher das von Grapendorffsche Gut gekauft hat.

1836 ist der Münchhausensche Zehnten von der Stadt abgelöst für fast 1400 rt Cour. Die übrigen Zehnten sollen successive abgelöst werden.

Die kleinen Lehen werden häufig zu Eigenthum gemacht, oder allodifiziert, infolge der Ablösungsgesezze. Dadurch entsteht ein großer Verkehr mit Grundstücken.

Die Stadt hat viel Nahrung durch die von Northeim über Moringen angelegte Chaussee zur Weser, durch die Verlegung des Amtes Hardegsen hierher, durch das Zuchthaus, die Tagelöhner durch die Domäne und die Güter.

Der Rathskeller thut jetzt 500 rt jährliche Pacht.

Sat.

Moringen, den October 1837

Gez. Johann Friedrich Wuthmann

Bürgermeister

Randbemerkung: Es ist wohl sonst Gebrauch einige derzeitige Münzen in dem Knopfe zu deponieren. Die kann man aber jetzt, wo es an Gelde fehlt, wo so viel Steuern gefordert werden, besser gebrauchen."


(Anmerkung: Vielleicht erklärt die letzte Passage die Zusammenhänge rund um die Grundsteinlehungsurkunde  der neuen Stadtkirche im Jahre 1847.)


Überarbeitung:

Powered by CMSimple| Template: ge-webdesign.de| html| css| Login